Unabhängig von Inhalten hat sich der Tonfall sowohl in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wie auch in der Politik verändert – oft beklagt wird ein Verrohen der Sitten. Wie sehen Sie das?
Sebastian Baacke, Volt
Ich selbst habe mich vor über zehn Jahren von facebook zurückgezogen, weil ich spürte, wie der Algorithmus mir giftige Inhalte einspielte und ich meine Timeline nicht mehr selbst bereinigen konnte. Viele Menschen in Deutschland sind den intransparenten Algorithmen sozialer Medien hilflos ausgeliefert und werden von Falschinformationen indoktriniert, die sie zu Angst und Hass verleiten. Dies schlägt sich im Umgang der Menschen miteinander nieder – online wie offline.
Manche Menschen haben sich zu Hass und Verachtung gegenüber anderen Gruppen verleiten lassen – häufig sind Menschen mit Migrationshintergrund, muslimischer oder jüdischer Religion oder LGBTQ+ Menschen Opfer diesen Hasses. Zugleich gibt es breite Gruppen von Menschen – und das ist die Mehrheit – die an Achtsamkeit und Respekt gegenüber Andersartigen gewonnen haben, sich um geschlechtergerechte Sprache bemühen oder einfach nur kleine Signale und Taten gesellschaftlicher Solidarität leben. Leider gelingt es politischer Agitation der Rechten – und damit ist ausdrücklich auch die demokratische Rechte gemeint – Ereignisse wie zuletzt in Aschaffenburg zur Einschüchterung und Verängstigung von Menschen völlig unverhältnismäßig aufzublasen.
Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt. Volt und ich setzen uns für einen positiven, lösungsorientierten Diskurs ein. Probleme klar benennen, ja. Freiheit ist immer auch die Freiheit von Andersdenkenden oder Andersartigen. Aber Hass ist keine Meinung. Ich persönlich setze mich für eine Stärkung der Medienkompetenz aller Altersgruppen ein, aber auch für eine stärkere Strafverfolgung von Volksverhetzung sowie die Sanktionierung der Verbreitung von Falschbehauptungen. Volt steht für evidenzbasierte und pragmatische, also lösungsorientierte Diskurse und stellt diese den Lügen und der Desinformation gegenüber.
Marvin Bellgardt, parteilos
Der Tonfall in der Politik, als auch in der Gesellschaft erschreckt mich immer wieder. Letztendlich sollte das Ziel aller ein starkes Deutschland sein! Beleidigungen, Diskriminierung, Hass und Intoleranz haben dort für mich keinen Platz! Wir leben in einer Demokratie und genau diese sollten wir leben und schützen.
Maik Brückner, Die Linke
Ja, der Tonfall in politischen Debatten ist oft härter geworden. Das liegt aber auch daran, dass soziale Unsicherheiten und Ängste gezielt von rechten Kräften ausgenutzt werden, um die Gesellschaft zu spalten. Statt rechte Hetze zu akzeptieren, müssen wir soziale Ungerechtigkeiten bekämpfen und eine Politik machen, die Menschen zusammenführt. Schluss mit unsozialer Politik, die die Menschen dazu bringt die Ellenbogen auszufahren.
Tim Heckeroth, FDP
Ich denke, dass eine hitzigere politische Debatte nicht zwangsläufig eine Gefahr für die Demokratie bedeutet. Gerade in Zeiten großer Krisen – ob Kriege, Klima, Migration oder die Nachwirkungen der Pandemie – sind leidenschaftliche Auseinandersetzungen unvermeidbar. Politische Diskussionen waren historisch betrachtet oft noch deutlich schärfer als heute. Entscheidend ist, dass der politische Diskurs lösungsorientiert bleibt und Menschen das Gefühl haben, dass Politik ihre Sorgen ernst nimmt und konkrete Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit liefert. Politik muss greifbarer werden, damit die Bürger wieder Vertrauen in ihre Wirksamkeit gewinnen.
Ottmar von Holtz, Grüne
Wir müssen dagegen halten und die digitale Verteidigung aufbauen!
In Moskau gibt es eine Agentur, die Milliarden an Dollar bekommt und den einzigen Auftrag hat, die "westlichen" Gesellschaften zu spalten: die SDA - Social Design Agency - der Ursprung der russischen Trolle, die in Sozialen Medien ihr Unwesen treiben und Desinformationen verbreiten. In den USA bekommt X-Besitzer Elon Musk eine nie dagewesene Macht, die ihn dazu verleitet, sich mit seinen Mitteln der Sozialen Medien in deutsche und europäische Politik einzumischen. Und China hat mit Tiktok ein mächtiges Instrument, dessen Nutzen für China wir gar nicht richtig kennen. Der Cyberkrieg tobt schon längst und wir tun so, als sei das nichts Besonderes? Daran müssen wir schnellstens etwas ändern und massiv in die eigene digitale Verteidigung investieren!
Justus Lüder, CDU
Eine Streitkultur ist die Grundlage für Demokratie, jedoch ist ein wertschätzender Umgang ebenso wichtig. Und das fehlt mir im politischen Diskurs oft!! Es gibt Werte, die im Umgang miteinander essentiell sind. Ich werde mir einen wertschätzenden Umgang, den ich bisher in meinen politischen Amtszeiten immer gewahrt habe, beibehalten!
Daniela Rump, SPD
Die Verrohung des gesellschaftlichen Tons ist besorgniserregend. Es liegt an uns Politiker:innen, durch respektvollen Umgang und ehrliche Kommunikation Vorbilder zu sein. Wir müssen wieder mehr miteinander reden, anstatt übereinander. In einer Zeit, in der Spaltung und Populismus zunehmen, brauchen wir einen konstruktiven Dialog, der Zusammenhalt stärkt.
Thorsten Althaus, AfD
Dieses Problem sehe ich auch. Die Ausgrenzung des politischen Gegners, die Entmenschlichung, die Politiker der Altparteien gegenüber der AfD vornehmen, hat ein Ausmaß angenommen, welches ich mir als Politiklehrer in einer demokratischen Gesellschaft nie habe vorstellen können. Allein die herabwürdigende dauerhafte Bezeichnung der AfD als „Nazi“, die ständig vorgenommen wird, war völlig außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Dadurch spricht man seinem Gegenüber die Existenz ab, ein demokratischer Austausch von Argumenten – wie in einer pluralistischen Gesellschaft vorgesehen und notwendig – wird unmöglich.
Zur Verrohung der Sitten hat weiterhin beigetragen, dass ein politisches Handeln der AfD durch Androhung von Gewalt z.B. gegenüber Wirten, die ihre Räumlichkeiten auch an die AfD vermieten wollen, deutlich erschwert wird. Hier muss dringend wieder zu einem Miteinander zurückgefunden werden, welches bedeutet, dass in der Sache gestritten werden darf, aber man immer sich mit Respekt und Anstand begegnet.