Bischof Wilmer hält Weihnachtspredigt – Radio Tonkuhle Hildesheim
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Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer hat heute im Hildesheimer Dom seine Weihnachtspredigt gehalten. Sie finden diese im Wortlaut unten angehängt.

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„"Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt. (...) Brecht in Jubel aus, jauchzt zusammen, ihr Trümmer Jerusalems!“ (Jes 52,7.9)

In diesem Winter lässt sich ahnen, wie das sein mag: Dass eine Stadt in Trümmern auf Frieden hofft. Auf die Städte der Ukraine werden Raketen abgeschossen. Die Menschen dort sollen ein Weihnachtsfest bei Hunger und Durst, in Kälte und Dunkelheit erleben. Was für ein Jubel wird ausbrechen, wenn dieser Horror ein Ende hat.

Wir spüren die Auswirkungen des Krieges von ferne. Fast eine Million Menschen, vor allem Frauen und Kinder, haben bei uns Zuflucht gefunden. Wir sparen Energie. Auch die Kirche tut das. Die Politik bemüht sich, die Folgen der Teuerung für den ärmeren Teil der Bevölkerung abzumildern. Die meisten von uns werden trotz allem auch diese Weihnachten bei Licht und Wärme verbringen können.

Hier, in Hildesheim am 25. Dezember 2022, herrscht kein Krieg. Der Mariendom ist hell erleuchtet. Die Heizung funktioniert. Der Bus kommt. Das Weihnachtsgeld wurde überwiesen. Die Supermarktregale sind voll. Die Notaufnahme im Krankenhaus hat geöffnet. Alle Systeme laufen. Übrigens deshalb, weil es Menschen gibt, die auch an Weihnachten arbeiten, sodass die anderen in Ruhe feiern können. Grund genug, dankbar zu sein.

Trotzdem kennen Sie und ich das Gefühl der Sehnsucht. Es ist für alles gesorgt, und doch fehlt etwas. Ein alter Traum, der sich nie erfüllt hat, oder die Erinnerungen an längst vergangene Erlebnisse, die sich nicht zurückholen lassen.

Für mich sind das die Weihnachtsfeste meiner Kindheit. Ich erinnere mich an die Gerüche aus der Küche, wenn die Mutter an den Tagen vor dem Fest backte. Wir, drei Jungs und eine Schwester, standen daneben und naschten. Wir fuhren mit den Fahrrädern in den Wald, um Moos für die Krippe zu sammeln. Am Heiligen Abend wurde das Weihnachtsevangelium gelesen und wir jubelten über unsere Geschenke. Ich sah das flackernde Licht der Kerzen in den Augen der anderen.

Viele von Ihnen haben heute sicher auch die Weihnachtsfreude im Herzen: die Kinder, die sich über ihre Geschenke freuen; die Großeltern, deren Enkel endlich wieder einmal zu Besuch sind. Aber es gibt auch Menschen hier im Dom, die haben in dieser Nacht geweint, weil sie wider Willen allein feiern mussten. Weil jemand fehlt, der in diesem Jahr gestorben ist. Weil die Tochter, die den Kontakt abgebrochen hat, sich wieder nicht gemeldet hat. Oder weil es am Fest der Familie einen Riesenkrach gegeben hat, obwohl doch alles mit so viel Liebe vorbereitet worden ist.

Wir alle wissen, was Hoffnung und Sehnsucht bedeuten. Die Hoffnung, dass einmal alles gelingt. Dass die Dinge sich fügen. Dass Frieden in unserer Seele einkehrt. Das Weihnachtsfest ist voll von Hoffnungszeichen. Ein Licht, das die Finsternis erleuchtet (Joh 1,5). Ein Stern, der aufgeht und uns den richtigen Weg weist (Mt 2,2). Ein Freudenbote, der eine Nachricht für uns hat, die uns in Jubel ausbrechen lässt (Jes 52,7).

Diese Hoffnung gründet nicht im Ungefähren. Sondern sie beruht auf einem tatsächlichen Ereignis, das sich vor etwas mehr als zweitausend Jahren im Nahen Osten zugetragen hat: eine Geburt. Kinder werden in den schwierigsten Umständen geboren. Auch in ukrainischen Luftschutzkellern, in Kälte und Dunkelheit. Und nicht jede Geburt ist nur ein freudiges Ereignis. Trotzdem gibt es wohl nichts, was die Menschen mit so vielen Hoffnungen und Träumen verbinden, wie ein Kind, das zur Welt kommt und seine ersten Schritte ins Leben tut.

Unser Glaube ist, dass dieses Kind, das damals in einem Tierstall geboren wurde, der Freudenbote schlechthin ist, nachdem die Menschheit sich gesehnt hat. In Weihnachtspredigten wird gerne der Dichter Angelus Silesius zitiert, der im 17. Jahrhundert dichtete: „Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“ Es ist aber auch der umgekehrte Satz wahr: „Wird Christus tausendmal in dir geboren und nicht in Bethlehem, du bleibt noch ewiglich verloren.“

Weihnachten ist nämlich nicht nur eine schöne Geschichte, die unser Herz berührt, sondern wir glauben: Das ist wirklich geschehen. In Bethlehem ist ein Kind geboren worden, das uns die frohe Botschaft gebracht hat: vom Leben in Fülle, vom Sieg über den Tod, von der umfassenden Versöhnung. Er ist selbst die Botschaft: Er ist das Wort, er ist das Leben, er ist das „Licht, das in der Finsternis leuchtet“ (Joh 1,5). Er ist die Hoffnung selbst.

Vielleicht wird ein Sondergericht oder eine Wahrheitskommission irgendwann versuchen, die Verbrechen aufzuklären, die in der Ukraine geschehen sind. Aber auch sie werden nicht alles ans Tageslicht bringen, werden nicht jeden Täter zur Verantwortung ziehen können. Und kein Richterspruch bringt Eltern das Kind wieder, das sie im Krieg verloren haben. Es kommt aber der Tag, an dem den Opfern der Geschichte, allen Opfern, Gerechtigkeit widerfahren wird, auch denjenigen, denen im Leben niemand Recht verschafft hat. Das ist der Tag, an dem Christus wiederkommt, der „unter uns gewohnt hat“, dessen „Herrlichkeit“ wir „geschaut“ haben, „voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14).

Das ist nicht der Sankt Nimmerleinstag. Denn dieser Tag bricht heute schon an. Hier und jetzt. „Aufgeleuchtet ist uns aufs Neue der Tag der Erlösung: Ein großes Licht ist heute auf Erden erschienen.“

Geben wir dieses Licht weiter. Denn wir Christen dürfen unsere Hoffnung nicht für uns behalten. Wir müssen selbst zu Freudenboten werden. Stiften wir Frieden. Gehen wir den ersten Schritt. Sie und ich können keine Kriege beenden. Aber wir können großzügig sein. Verzeihen. Nicht zulassen, dass der Hass und die Bitterkeit in uns die Oberhand gewinnen. Geben wir nicht dem „Willen des Fleisches“ nach (Joh 1,13). Dann können wir erleben: Das Gute wächst, das Böse schwindet. Schauen wir unserem Nächsten ins Gesicht und versuchen, in ihm das zu sehen, was er wirklich ist: ein Abbild Gottes (vgl. Hebr 1,3). Versuchen wir auch, in uns selbst dieses Abbild Gottes zu erkennen. Manchmal gelingt uns das nicht, weil etwas Dunkles auf unserer Seele lastet – vielleicht etwas, von dem wir meinen, dass es unverzeihlich ist. In der Kirche, bei der Feier ihrer Sakramente, können wir die Erfahrung machen: So etwas gibt es nicht. Es gibt nichts, das uns nicht verziehen werden könnte.

Unsere Hoffnung ist nicht unbegründet. Gott steht hinter uns. Gott hält uns. Mit Gott stürzen wir nicht in den Abgrund. Gott wird alle „Tränen“ von unseren „Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“ (Offb 21,4). Das ist die Frohe Botschaft, unser Evangelium. Da wartet ein himmlisches Festmahl auf uns. Und von diesem Festmahl gibt es jetzt, in dieser Heiligen Messe, wie in jeder Messe, einen Vorgeschmack: Der Freudenbote kommt zu uns unter den Gestalten von Brot und Wein.

Öffnen wir ihm unsere Türen. Amen"

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